Wydanie/Ausgabe 131/04.04.2024

2020 jährt sich die Teilung Oberschlesiens. Obwohl sich 1921 über 60 % der oberschlesischen Bevölkerung im Rahmen einer Volksbefragung für den Verbleib beim Deutschen Reich ausgesprochen hatten, wurde nur kurze Zeit später die Teilung Oberschlesiens durchgeführt und ein großer Teil zu Polen dazugeschlagen. Dabei spielte der polnische Klerus eine politische Rolle, die man normalerweise vom geistlichen Stand nicht erwartet.

In den Archiven des Vatikans befindet sich ein Dokument, auf das ich kürzlich durch einen befreundeten Priester aufmerksam gemacht wurde. Der „katholische Adel Schlesiens” wendet sich darin im Jahre 1921 angesichts der agitatorischen Tätigkeit des polnischen Klerus an den Papst.

Es ist bekannt, dass der polnische Klerus die Zuschlagung Oberschlesiens zu Polen aktiv unterstützt hat, und zwar zum Teil mit sehr dramatischen Mitteln. Motiviert war der Kampf um Oberschlesien, der seinerzeit seine traurigen Höhepunkte in den polnischen Aufständen der Jahre 1919, 1920 und 21 fand, mit Sicherheit vorwiegend von wirtschaftlichen Interessen: Oberschlesien war nicht nur landwirtschaftlich, sondern vor allem industriell ein Gebiet, um das zu kämpfen sich lohnte.

Mit der militärischen Niederlage Deutschlands ging mit der Unterzeichnung des Waffenstillstandes am 11. November 1918 der I. Weltkrieg zu Ende. Im Versailler Vertrag vom 10.1.1919 wurde festgelegt, dass in den Grenzgebieten des Deutschen Reiches Volksabstimmungen stattfinden sollten. Also wurden entsprechende Abstimmungen durchgeführt. Der wiedererstandene Polnische Staat jedoch wollte sein Territorium im Osten und Westen vergrößern. Der polnisch gesinnte Reichstagsabgeordnete Adalbert (Wojciech) Korfanty war bemüht, ganz Oberschlesien ohne Plebiszit von Deutschland abzutrennen und Polen einzuverleiben. Unterstützung fand er in der Polnischen Militär-Organisation (POW).

In der Nacht vom 16./17. August 1919 löste diese Organisation, angeführt von ihrem Mitglied Alfons Zgrzebniok, in Oberschlesien den ersten Aufstand aus, der jedoch von der Reichswehr niedergeschlagen wurde. Es kam aber in Oberschlesien zu weiteren Unruhen, die von Seiten des diözesanfremden polnischen Klerus zum Teil vehement unterstützt wurden. Das politische Engagement von Teilen des polnischen Klerus war so extrem, dass der Fürstbischof von Breslau Adolf Kardinal Bertram sich genötigt sah, in seinem Dekret vom 24. Juni 1919 den Klerus vor Einmischung in den „Bruderstreit” zu warnen und zu „Vernunft und Einhaltung von Ordnung” aufzurufen.

In der Nacht vom 19./20. August 1920 brach der 2. Aufstand aus, wieder von Alfons Zgrzebniok angeführt. Korfanty setzte bewusst politisierende Geistliche ein, was aus seiner Sicht ein taktischer Schachzug sein musste, zumal die oberschlesische Bevölkerung vorwiegend katholisch war. In seinem Hauptquartier in Beuthen wurde sogar eine sog. „theologische Abteilung” eingerichtet, die die Abtretung Oberschlesiens an Polen vehement vertrat und deren Mitglieder u.a. polnische Geistliche waren.

Kardinal Bertram versuchte weiter, Kraft seines Amtes die politische Einmischung des polnischen Klerus zu unterbinden und in einer unruhigen Zeit für Ruhe zu sorgen. Am 21.11.1920 erließ er unter dem Titel Oberhirtliche Verordnung, betreffend Haltung des Klerus im Oberschlesischen Abstimmungsgebiet eine Pastoralanweisung mit folgendem Inhalt:
1. Im Oberschlesischen Abstimmungsgebiet wird Priestern jedweder Nationalität strengstens verboten, politische Reden zu halten und an politischen Demonstrationen teilzunehmen.
2. Allen nicht in die Breslauer Diözese inkardinierten Priestern wird im oberschlesischen Abstimmungsgebiet jedwede politische Agitation strengstens verboten.
3. In der Kirche ist bei der Ausübung des geistlichen Amtes jede politische Agitation gewissenhaft zu meiden.
4. Niemand darf in einem Pfarrbezirke ohne Erlaubnis des zuständigen Pfarrers aktiv werden.
5. Dieser Erlaß ist von den Pfarrern allen sich einfindenden Klerikern sofort vorzulegen.

Bei der Volksabstimmung am 20. März 1921 stimmten 60,4% der oberschlesischen Bevölkerung für den Verbleib beim Deutschen Reich. Nach der Abstimmung hätte nach dem Majoritätsprinzip Oberschlesien ungeteilt zum Deutschen Reich gehören müssen. Damit war die polnische Seite jedoch nicht einverstanden und entfesselte zum dritten Mal einen Aufstand, der in der Nacht vom 2/3. Mai 1921 begann.

Der Versailler Vertrag sah auch die Möglichkeit einer Teilung Oberschlesiens vor. Tatsächlich wurde ungeachtet des Abstimmungsergebnisses am 20. Oktober 1921 Oberschlesien geteilt und am 15. Juli 1922 die neue Staatsgrenze festgelegt. Der überwiegende Teil Oberschlesiens wurde Polen zugeschlagen. Es handelte sich um die attraktiven industriellen Gebiete.

Noch am 3. Juni 1922 hatte Fürstbischof der Diözese Breslau Kardinal Bertram in einem Hirtenbrief unter dem Titel „Oberhirtliche Mahnung an die Katholiken von Oberschlesien” die oberschlesischen Katholiken zum Gehorsam und Vertrauen gegenüber der kommenden Obrigkeiten gemahnt und zur Bewahrung der Ruhe und Unterstützung beim Aufbau des Landes aufgerufen.

Um den Einfluss des Kardinals zu unterbinden, erhob der polnisch gesinnte Klerus unter der Führung des Pfarrers Kubina, der Mitglied der „Theologischen Abteilung” war (s.o.), 1921Einspruch gegen eine Firmungsreise Kardinal Bertrams nach Oberschlesien. Dieser Einspruch wurde von dem französischen General und Leiter der Interalliierten Regierungsund Plebiszitkommission für Oberschlesien unterstützt; dem Kardinal wurde die Reise untersagt.

Die politische Agitation der polnischen Geistlichkeit richtete sich auch gegen den schlesischen Adel, der sich mit folgendem Schreiben an den Papst in Rom wandte:

Heiliger Vater!

Am 21. November hat der Fürstbischof von Breslau, Kardinal Bertram, nach sehr langem geduldigem Warten und nach vielen vorangegangenen väterlichen Mahnungen einen Erlaß veröffentlicht, der dem traurigen Schauspiel der Verhetzung des Volkes durch umherziehende Agitatoren im Priesterkleide, dem Kampfe von Priestern gegen Priester in denselben Gemeinden im Abstimmungsgebiete ein Ende bereitet.

Das treukatholische ruheliebende Volk atmet auf. Überall hörte man ein tiefempfundenes Deo gratias. Nicht so auf polnischer Seite. In fanatischer Verhetzung wurde Stellung genommen gegen den Erlaß und gegen den Bischof. Von bestimmten Büros aus werden die Massen und Vereine mobil gemacht zum Absenden von Massenprotesten. Das Betrübendste ist, daß die hochwürdigsten Bischöfe Polens in einer den Kardinal beleidigenden Weise öffentlich Stellung gegen den gerechten und durchaus weisen Erlaß genommen haben.

Wir lehnen es ab, im Interesse beider Nationalitäten eine ähnliche Massenbewegung in Szene zu setzen, was ein leichtes sein würde. Wir wollen alles vermeiden, was die Aufregung steigern könnte.

Aber als angesehene Männer des schlesischen Volkes wagen wir es, zum Throne Eurer Heiligkeit hinzutreten mit der feierlichen Versicherung, daß der Fürstbischof stets gerecht gegen alle Kreise des Volkes gewesen ist, daß er mit rühmlichem Mute noch am 31. Januar 1918 im Herrenhause, der Ersten Kammer des Preußischen Staates, für alle berechtigten Interessen der polnisch redenden Oberschlesier in aller Öffentlichkeit eingetreten ist, und daß wir ihm innigen Dank für den Erlaß vom 21. November 1920 schulden.

In der Hoffnung, daß Eure Heiligkeit diese Versicherung gnädig aufnehmen wollen, bitten wir, das Gelöbnis unserer unwandelbaren Treue zum Heiligen Stuhle huldvollst entgegenzunehmen.


Der katholische Adel Schlesiens
Jeder Mensch hat das Recht, eine politische Meinung zu haben. Wenn jedoch Priester gewalttätigen Widerstand gegen die demokratisch ausgesprochenen Wünsche einer Bevölkerung unterstützen, dann ist dies ein Verhalten, das vielleicht noch im Mittelalter standesgemäß war, im 20. Jahrhundert jedoch nicht mehr. Wie sich das Verhalten eines Teils des polnischen Sklerus in den Jahren 1919 – 21 im Zusammenhang mit dem Plebiszit in Oberschlesien mit den geistlichen und seelsorgerischen Aufgaben von Priestern vereinbaren lässt, war schon in der Zeit der polnischen Aufstände eine unbeantwortete Frage, und sie ist es bis heute geblieben.

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Schreiben des schlesischen Adels an den Papst (Das Original befindet sich im Archiv des Vatikans unter der Nr. 16712.)